Donnerstag, 6. Januar 2011

Lektion 9: Ernsthaftigkeit

Ich wünsche allen ein gesundes neues Jahr und kündige schon mal gleich an, dass ich noch mal raus muss aus Deutschland - ich komme frühestens im März wieder; denn es ist hier unerträglich ungemütlich (bzgl. des Wetters). Handeln und posten werde ich allerdings trotzdem - nur eben unregelmäßig.

Die folgende Lektion wird eingeleitet von der Antwort auf einen Kommentar, in dem nach meinem Trading-Alltag gefragt wurde.

Ich versuche hier einen kleinen oberflächlichen Abriss zu geben und möchte ergänzen, dass ich auf Grund meines Alters mehr Schlaf brauche als früher und dies meinem heutigen Alltag entspricht - zwischen meinem 20. und 32. Lebensjahr habe ich fast täglich 14-16 Stunden am Tag gehandelt (drei Jahre davon im Pit) - dann noch ein paar Stunden (auch fast täglich) gefeiert und nur drei bis vier Stunden geschlafen - ich habe dafür einen hohen Preis gezahlt und war mit 33 Jahren ein klassisches Burnout-Opfer. Mein damaliger Arbeitgeber bezahlte mir danach ein halbes Jahr einen persönlichen Psychotherapeuten und schickte mich auf Kur, um mich wieder aufzupäppeln. Keine schöne Zeit, aber ich möchte sie trotzdem nicht missen. Kurze Zeit danach habe ich mich selbständig gemacht und mein Leben Stück für Stück umstrukturiert.

Ich stehe in der Regel (an allen normalen, internationalen Handelstagen) um 6 Uhr auf, laufe dann eine halbe Stunde, gehe in die Sauna, dusche und frühstücke. Während des Frühstücks lese ich den Tagesspiegel und die Times im Netz und schaue nebenbei bloomberg-tv, das ist ein bisschen Einstimmung und wirklich klischeehaft, ausser Frage.
Gegen 8.00 Uhr bin ich Büro und sitze exakt bis 8.30 Uhr mit meinen Mitarbeitern zusammen, um die Märkte und besondere Kundenwünsche bzw. die unterschiedlichen Portfolios zu besprechen, dann handle ich durchgehend bis 18:00 Uhr.
Ich esse, trinke und mache alle Pausen vor meinen Screens, wir haben ein Rudergerät, einen Stepper und ein Rad im Büro, um zwischendurch einen Bewegungsausgleich zu haben - während man z.B. auf dem Rad sitzt kann man über einen Monitorswitch den Handelsscreen auf eine Leinwand übertragen. Nur zwei von fünf Personen nutzen traurigerweise diese Geräte. An ruhigen Tagen lese ich Blogs und Nachrichten, schaue auch manchmal eine DVD an oder telefoniere mit befreundeten Tradern - sämtliche Aktivitäten enden allerdings abrupt, sobald Action in den Markt kommt.
So läuft es jeden Tag bis auf Freitags. Freitags wird nur bis 15:30 Uhr gehandelt, dann gibt es danach eine Wochenbesprechung bzgl. der Trades und unserer Handelsansätze. Im Gegensatz zu andern Firmen wird bei uns nie über persönliche Tradingfehler gesprochen; die ist auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Philosophie und hat für mich aber eine besonders wichtige Bedeutung (schreibe ich später noch mehr zu). Ich halte Fehlerdiskussionen im professionellen Bereich nicht für sinnvoll. Natürlich gibt es noch viele kleine Details, allerdings ist hiermit mein Tagesablauf einigermaßen beschrieben.

Wenn ich die Firma verlasse habe ich frei - auch im Kopf und verschwende bis zum nächsten Morgen keine Sekunde mehr an die Börse.

Was hat das mit der Lektion Ernsthaftigkeit zu tun? 

Ich bin nicht ganz der Meinung wie einige andere, dass Trading ein Job wie jeder andere ist. Die Unterschiede sind zu gravierend, als könnte ich es gleichermaßen betrachten. Nichts desto trotz ist es ein Beruf und in diesem muss man besondere Regeln der Zuverlässigkeit und Disziplin beachten, da Fehler unmittelbar wirken und keine Gnade vergeben wird. Es gibt keine zweite Chance!

Um Trader zu sein oder zu werden bedarf es einer besonderen Ernsthaftigkeit für den Beruf. Wer nur an der Eurex handelt und bis 10:00 Uhr schläft oder nur die US-Märkte handelt und um 18:00 Uhr Feierabend macht hat verloren. Wer Geld verdienen will, aber das Risiko scheu ist ebenso verloren wie jemand der an finanzielle Gerechtigkeit und Fairness glaubt.

Wer sich ernst nimmt betrachtet sich von aussen und versucht objektiv zu bewerten, ob dass was er sieht zufriedenstellend ist (die objektive Sicht ist dabei sicherlich das Schwierigste). Die Selbstbegutachtung  fängt an bei der Begründung warum man tradet und endet bei der moralischen Einstellung zum Geld.

Besonders wichtig ist die Antwort auf die Frage: Was mache ich wenn morgen der Handel an der Börse verboten wird - wo stehe ich dann, was werde ich machen? Wer darauf keine Antwort hat, zählt im weitesten Sinne zu den ganz normalen Arbeitnehmern, die jederzeit arbeitslos werden können und zum Amt gehen müssen, um zu überleben. Die richtige Antwort sollte in der Art lauten: " ... dann mache ich eben ... " oder " ... meine Reserven reichen für die nächsten... Jahre". Darüber muss man eine Weile nachdenken ... ist dem einen oder anderen vielleicht eine bittere Erkenntnis.

Darüber hinaus gibt es noch viele andere Dinge, die man nennen kann, wie zum Beispiel, dass man sich zwingen sollte sich nicht im Jogginganzug oder Schlafanzug an den Rechner zu setzen und Trades abzusetzen - das ist respektlos und der Markt wird es bestrafen.

Vieles mehr gehört zu Ernsthaftigkeit und wer ein wenig drüber sinnt wird noch viele andere Punkte finden, die er beim Trading nicht so umsetzt wie in anderen Lebensbereichen ... bleibt also nur die Frage, ob es in den anderen Lebensbereichen rund läuft :-).